In erster Linie ist ein Ritual ein Theaterstück im Sinne der Poetik von Aristoteles. Ein Ritual hat einen klar definierten Anfang und ein klar definiertes Ende, welche durch den Handlungs- und Spannungsbogen verbunden sind, um Emotionen freizusetzen. Man sollte auch nicht vergessen, dass in der Antike Theater immer mit Religion und Mysterienkulten verbunden war.
Theater war ein Mittel der seelischen Reinigung (Katharsis) und Selbsterkenntnis und damit der inneren Alchemie.
Unterschied zwischen Ritual und Theaterstück
Jedes Ritual ist wie schon festgestellt ein Theaterstück das Wirkungen auf die Zuschauer und Akteure hat, der große Unterschied ist aber wie tief und weit es wirkt. Hier kommen neben den Fähigkeiten von Konzentration, Imagination und Gedankenkontrolle vor allem Trigger / Anker bzw. Prägungen zur Wirkung.
In einem Magisch / Mystischen Ritual ist jede Handlung mit bestimmten Bildern, Erfahrungen, Gefühlen und vor allem Bewusstseinszuständen verbunden. In der Informatik würde man von Befehlen und Funktionen sprechen. Die richtige Anwendung dieser „Funktionen“ führt im Verlauf des Rituals in immer tiefere Trance und oft damit verbunden Ekstasezuständen. Diese Prägungen, und wer da an Pawlow denkt, liegt nicht verkehrt, ist ein wichtiger Teil jedes magischen Trainings. Jedes magische Training / Ausbildung ist eine bewusste Form der Dekonditionierung und Neukonditionierung. Dadurch erlangt man als Nebeneffekt eine große Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Konditionierungen. Es ist auch der Teil über den man nur wenig in Büchern findet.
Wie diese Prägungen aussehen differiert auch zwischen den magischen Systemen.
Ein weiter Punkt ist das in Ritualen auch immer tranceinduzierende Techniken eingebaut sind. Das können Techniken sein, die wie Binaural Beats wirken, Techniken der Reizüberflutungen, die zu einer Art Blankouteffekt führen, der ähnlich wie Koans im Zen in spirituelle Erfahrungen münden. Eine andere in der Ritualistik benutzte Methode ist die der Reizdeprivation, welche für Clairvoyance und Visionssuche genutzt werden. In dem Zusammenhang wird ein Ritual zur Erzeugung von Set und Setting benutzt.
Rituelle Handlungen sind Bausteine eines Rituals und werden in der Ausbildung mit Bildern , Emotionen und Erfahrungen geprägt und somit zu „Kraftankern“
Die in diesem Artikel beschriebenen Konzepte basieren auf einer Synthese verschiedener Traditionen. Für den theoretischen Unterbau ist Aristoteles‘ ‚Poetik‘ essentiell. Die praktische Umsetzung, insbesondere das Training von Konzentration und die Schaffung von ‚Kraftankern‘, wird systematisch in Franz Bardons ‚Der Weg zum wahren Adepten‘ gelehrt. Wer die psychologischen Mechanismen der Konditionierung und Trance vertiefen möchte, dem seien die Werke von Pawlow und Elman ans Herz gelegt. Das Konzept des ‚Set and Setting‘ schließlich wurde maßgeblich von Timothy Leary geprägt.
Lesehinweise & Vertiefende Quellen
Für Leser, die mehr über die Grundlagen und die hier besprochenen Konzepte erfahren möchten, empfehle ich die folgenden Werke:
1. Zur Theatertheorie und Katharsis:
- Aristoteles: „Poetik“ (Jede Ausgabe)
- Die ursprüngliche Quelle für die Konzepte von Handlungsbogen, Katharsis und der dramatischen Einheit. Unabdingbar zum Verständnis des strukturellen Rahmens.
2. Zur Magischen Praxis & Konditionierung (Die „Wie“-Bücher):
- Franz Bardon: „Der Weg zum wahren Adepten“ (Initiation into Hermetics)
- Das fundamentale Werk für das Training von Konzentration, Imagination und Willenskraft. Bardon liefert die step-by-step-Anleitung zur bewussten Dekonditionierung und Neukonditionierung, von der Sie sprechen. Seine Abhandlungen über Mudras, Gesten und die Verknüpfung von inneren und äußeren Handlungen sind hier zentral.
- Pete Carroll: „Liber Null & Psychonaut“
- Ein moderner, chaostheoretischer Ansatz zur Magie. Carroll beschreibt Magie sehr direkt als eine Form der Psychologie und Programmierung und geht explizit auf Konditionierung, Trancezustände und die Dekonditionierung von gesellschaftlichen Tabus ein. Passt perfekt zu Ihrer Ausführung.
3. Zu den Psychologischen Mechanismen (Die „Warum“-Bücher):
- Iwan Pawlow: Verschiedene Werke zur „Klassischen Konditionierung“
- (Ein Lehrbuch der Psychologie reicht hier oft aus). Pawlow liefert die wissenschaftliche Grundlage für das Verständnis von „Ankern“ und „Prägungen“.
- Dave Elman: „Findings in Hypnosis“
- Ein sehr praxisorientierter Klassiker der Hypnose. Elman erklärt Tranceinduktionen, die auf ähnlichen Prinzipien der Reizüberflutung und -fokussierung beruhen, wie Sie sie für Rituale beschreiben.
- Timothy Leary: „The Psychedelic Experience“
- Der Ursprung des Konzepts „Set and Setting“. Dieses Buch überträgt das Tibetische Totenbuch auf psychedelische Erfahrungen und zeigt, wie wichtig die bewusste Gestaltung des inneren und äußeren Rahmens für tiefgreifende Erlebnisse ist.
4. Zu Trance, Bewusstseinszuständen und Philosophie:
- Mircea Eliade: „Schamanismus und archaische Ekstasetechnik“
- Ein ethnologisches Standardwerk, das die von Ihnen beschriebenen Techniken (Trommeln, Tanz, sensorische Deprivation/Überflutung) in ihren historischen und kulturellen Kontext stellt. Zeigt, dass diese Prinzipien universell sind.
- Zen-Literatur (z.B. „Der dreifache Lotus“ oder Werke von D.T. Suzuki)
- Um die Funktion von Koans und die Methode der „Reizüberflutung“ des logischen Verstandes aus erster Hand zu verstehen.