Eine Spurensuche zwischen Theosophie, Ariosophie und rechter Esoterik der 1980er/90er Jahre
1. Einleitung
In den 1980er und 1990er Jahren tauchte im deutschsprachigen Raum eine Reihe esoterisch-völkischer Gruppen auf, die sich auf Templer-Mythen, okkulte Runenlehren und „Vril“-Energie beriefen. Eine der auffälligsten war die Tempelhofgesellschaft, die sich selbst als Nachfolge eines spirituell-ritterlichen Ordens verstand.
Ihre Schriften verbanden mystische Weltdeutung, arische Rassenmythologie und technisch-utopische Eschatologie – ein Synkretismus aus okkulter Esoterik und politischer Ideologie.
Doch die Wurzeln dieser Ideen reichen weit zurück: zur Theosophie Helena P. Blavatskys, zur Ariosophie Guido von Lists und – in einer parallelen Entwicklung – zur Anthroposophie Rudolf Steiners.
2. Die Tempelhofgesellschaft der 1980er/90er Jahre
Die sogenannte Tempelhofgesellschaft entstand in den 1980er Jahren unter der Leitung ihres „Großkomturs“ Hans-Günter Fröhlich. Ihre zentralen Publikationen waren:
- Einblick in die magische Weltsicht und die magischen Prozesse (1987)
- Das Vril-Projekt (ca. 1991)
Diese Schriften verbanden okkulte und pseudowissenschaftliche Ideen über „Vril-Energie“, „Schwarze Sonne“ und „arische Urkraft“. Die Gruppe bezog sich auf frühere völkisch-esoterische Autoren wie Rudolf John Gorsleben (Hochzeit der Menschheit, 1930) und Karl Maria Wiligut.
„Die Idee eines esoterischen Nationalsozialismus ist keine Fortsetzung nationalsozialistischer Esoterik, sondern ein nachträgliches Konstrukt, das alte theosophische und ariosophische Elemente neu synthetisierte.“
— Julian Strube, Die Erfindung des esoterischen Nationalsozialismus im Zeichen der Schwarzen Sonne (2012)
3. Die Neo-Templer und der Mythos vom „esoterischen Orden“
Parallel zu diesen Entwicklungen formierten sich in den 1980er und 1990er Jahren mehrere sogenannte Neo-Templer-Orden, die sich auf okkulte oder ritterliche Traditionen beriefen. Inspiriert von Otto Rahns Kreuzzug gegen den Gral (1933) kombinierten sie Templer-Symbolik, Gralsmythos und gnostische Esoterik mit modernen Verschwörungstheorien.
Die Tempelhofgesellschaft übernahm diese Symbolik, um ihre eigene Hierarchie und sakrale Legitimation zu untermauern. Dabei verband sie Templerästhetik mit Mythen über Atlantis, Babylon und Hyperborea – ein Muster, das bereits in der Ariosophie angelegt war.
4. Von der Theosophie zur Ariosophie
Um die ideologischen Grundlagen der Tempelhofgesellschaft zu verstehen, muss man auf Helena P. Blavatskys Theosophie zurückgehen. Ihr Hauptwerk, The Secret Doctrine (1888), legte eine kosmische Evolutionslehre in sieben „Wurzelrassen“ dar. Die „fünfte Wurzelrasse“ bezeichnete sie als arisch, allerdings in einem spirituellen, nicht biologischen Sinn.
In völkischen Kreisen – insbesondere bei Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels – wurde diese Lehre jedoch rassistisch umgedeutet. Blavatskys metaphysisches Konzept wurde zur „wissenschaftlichen“ Begründung einer angeblichen Überlegenheit der nordischen Rasse.
„Die Ariosophie war eine vulgarisierte Form der Theosophie, in der Blavatskys spirituelle Hierarchien in biologisch-rassische Kategorien übersetzt wurden.“
— Nicholas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus (1997)
5. Anthroposophie und ideelle Schnittpunkte
Rudolf Steiner, ursprünglich Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland, trennte sich 1912 von Annie Besant und gründete die Anthroposophie. Während Steiner theosophische Ideen beibehielt, deutete er sie christologisch und individualistisch.
Eine direkte Verbindung zwischen Anthroposophie und Tempelhofgesellschaft existiert nicht. Es bestehen jedoch ideengeschichtliche Parallelen, die auf gemeinsame theosophische Wurzeln zurückgehen: kosmische Entwicklungszyklen, geistige Hierarchien und die Idee spiritueller Auserwähltheit.
In der Tempelhofgesellschaft wurden diese Konzepte rassistisch-technomystisch umgedeutet, während sie in der Anthroposophie ethisch-individuell blieben.
6. Blavatskys „Geheimlehre“ als ideologischer Kristallisationspunkt
Blavatskys Geheimlehre bildet den okkulten Ursprungspunkt vieler moderner Esoteriksysteme – von der New-Age-Bewegung bis zur Ariosophie. Die Idee der „kosmischen Evolution der Menschheit“ wurde unterschiedlich ausgelegt:
Tradition | Auslegung der „Wurzelrassen“-Lehre |
---|---|
Theosophie (Blavatsky) | Spirituelle Entwicklungsstufen der Menschheit |
Anthroposophie (Steiner) | Moralisch-geistige Individualentwicklung im Christus-Zeitalter |
Ariosophie (List, Liebenfels) | Biologische Rassenhierarchie |
Tempelhofgesellschaft (1980–90) | Technomagische Wiedererweckung der „arischen Urkraft“ |
7. Fazit
Die Tempelhofgesellschaft steht exemplarisch für eine postfaschistische Form rechter Esoterik, die theosophische und ariosophische Mythen mit moderner Technikmystik verbindet. Ihr ideologisches Fundament reicht über Blavatskys Geheimlehre bis zur Ariosophie Guido von Lists.
Die Anthroposophie teilt einige symbolische Ursprünge, bewegt sich jedoch auf einer ethisch-geistigen Ebene. Wo Steiner den Weg zur individuellen Geistigkeit sah, sah die Tempelhofgesellschaft die Wiedergeburt einer „arischen Elite“.
📚 Quellenverzeichnis
Primärquellen
- Blavatsky, Helena P. (1888): The Secret Doctrine.
- Gorsleben, Rudolf John (1930): Hochzeit der Menschheit. Leipzig: Koehler.
- Schertel, Ernst (1923): Lucifers Hofgesind. Leipzig: Hesse.
- Ravenscroft, Trevor (1972): Kreuzzug gegen den Gral. München: Langen Müller.
- Tempelhofgesellschaft (1987): Einblick in die magische Weltsicht und die magischen Prozesse.
- Tempelhofgesellschaft (ca. 1991): Das Vril-Projekt.
Sekundärliteratur
- Goodrick-Clarke, Nicholas (1997): Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus.
- Strube, Julian (2012): „Die Erfindung des esoterischen Nationalsozialismus im Zeichen der Schwarzen Sonne.“
- Staudenmaier, Peter (2014): Between Occultism and Nazism. Brill.
- Zander, Helmut (2007): Anthroposophie in Deutschland. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Strube, Julian (2016): Völkische Religion und Esoterik. Berlin/Boston: De Gruyter.
- Hunger, Ulrich (Hg.) (1998): Guido von List und die Ariosophie. Wien: Böhlau.
- „Rechte Esoterik“ – AnthroWiki.
Hinweis: Dieser Artikel dient der wissenschaftlichen Aufklärung über ideengeschichtliche Zusammenhänge zwischen Theosophie, Ariosophie und rechter Esoterik. Er bezieht keine ideologische Stellung und unterstützt keine der dargestellten Lehren.